An den Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern
Herrn Mathias Brodkorb
Werderstraße 124
19055 Schwerin
Kürzung des Faches Sachunterricht
Sehr geehrter Herr Minister Brodkorb,
mit großer Irritation und Besorgnis haben wir von den Plänen Ihrer Regierung Kenntnis genommen, das Fach Sachunterricht zugunsten des Deutschunterrichts (und hier insbesondere mit Blick auf die Rechtschreibung) zu kürzen. Das uns vorliegende Schreiben vom 6. November an die Schulleiterinnen und Schulleiter sieht eine Kürzung des Sachunterrichts auf eine Stunde in der ersten Jahrgangsstufe und zwei Stunden in den Jahrgangsstufen zwei bis vier vor. Das würde eine Marginalisierung des Faches bedeuten, die deutschlandweit einzigartig ist.
Als Fachvertreter(innen) des Sachunterrichts erachten wir dies als völlig falsche Entscheidung: Das Fach Sachunterricht bietet durch die ihm inhärenten verschiedenen Perspektiven (naturwissenschaftlich, sozialwissenschaftlich, geographisch, historisch und technisch) sowie durch die gebotene Vernetzung dieser Perspektiven ein enormes Bildungspotenzial für die Schülerinnen und Schüler im Grundschulalter. So wurden z.B. insbesondere mit Blick auf das naturwissenschaftlich-technische Lernen in den letzten Jahrzehnten vermehrt Bemühungen in und außerhalb der Schule unternommen, um den hier konstatierten Defiziten zu begegnen. Und auch in der sozialwissenschaftlichen Perspektive wird (z.B. hinsichtlich demokratischen Verhaltens oder bezogen auf ökonomische Bildung) intensiv darauf hingewiesen, dass die Schüler(innen) hier wichtige Kompetenzen bereits in der Grundschule erwerben müssen.
Eine Kürzung des Sachunterrichts würde hier genau in die Gegenrichtung weisen. Nur durch einen Sachunterricht, in dem ausreichend Zeit ist, um sowohl perspektivenbezogen als auch perspektivenvernetzend (z.B. zu Fragen der Nachhaltigen Entwicklung, der Medien- oder Gesundheitsbildung) zu arbeiten, können in diesen Bereichen die für unsere Gesellschaft zentralen Kompetenzen angemessen aufgebaut werden. Das Bildungspotenzial des Sachunterrichts kann nur genutzt werden, wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um die Fülle an Themen nicht nur anzureißen, sondern auch verstehensorientiert zu unterrichten. Bei lediglich ein bis zwei Unterrichtsstunden in der Woche ist es nicht einmal mehr möglich, die Fülle der wichtigen Themen zu streifen – echtes Verständnis des Gelernten oder die Förderung von Methodenkompetenzen (wie z.B. das Durchführen von Experimenten, das Arbeiten mit historischen Quellen oder das Verstehen von Modellen) sind unter diesen Voraussetzungen utopisch.
Damit würde bei einer solchen Kürzung des Sachunterrichts auch die Anschlussfähigkeit an die entsprechenden Sachfächer der weiterführenden Schulen deutlich leiden. Selbstverständlich unterstützen wir Vernetzungen mit dem Deutschunterricht bzw. mit dem sprachlichen Lernen der Schülerinnen und Schüler. Das Verstehen sachunterrichtlicher Inhalte erfordert die Versprachlichung des Gelernten – allerdings muss sich diese Versprachlichung (gleichsam wie Verschriftlichungen) aus der originären und selbstständigen Beschäftigung mit der Sache ergeben. Der umgekehrte Weg kann letztlich nur zu einem unverstandenen, leeren Begriffslernen führen.
Wir bitten Sie daher dringlich, diese Entscheidung zu überdenken und zu revidieren. Für Rückfragen aber auch für die Unterstützung Ihrer Arbeit stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Hartinger
(1. Vorsitzender)
P.S.: Die Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts hat im Perspektivrahmen Sachunterricht das Bildungspotenzial des Faches ausgearbeitet und ausdifferenziert. Die Ausführungen dort illustrieren unserer Ansicht nach die in diesem Schreiben nur kurz angedeuteten Argumente. Aus diesem Grund erlauben wir uns, Ihnen ein Exemplar des Perspektivrahmens Sachunterricht beizulegen.